Neue Stolperschwelle am Bobinger Bahnhof verlegt

Bobingen setzt ein Zeichen für Demokratie und Menschenrechte

Mit Stolpersteine und Stolperschwellen, in den Gehweg eingelassene gegossene Gedenktafeln, sollen immerwährend an die Schicksale der unzählbaren Opfer des Naziregimes erinnern, die zu Unrecht verfolgt, vertrieben, deportiert, unter unmenschlichen Bedingungen zur Zwangsarbeit gezwungen oder gar ermordet wurden. Allein in Bobingen wurden während des Zweiten Weltkrieges nachweislich über 1300 Personen aus verschiedenen Nationen als Arbeitskräfte missbraucht und ausgebeutet. Eingesetzt waren diese in der Landwirtschaft, im Gewerbe, bei der Bahnmeisterei, vor allem aber bei in der ehemaligen Kunstseidefabrik der I.G. Farben und der Sprengstofffabrik der Dynamit AG. Bei beiden Letztgenannten erfuhren in den Jahren 1939-45 über 1000 Männer, Frauen wie auch Jugendliche Entrechtung und Demütigung in Form von Zwangsarbeit.

Im März 2023 verlegte daher der Künstler Gunter Demnig am Haupteingang des heutigen IWB in Erinnerung an die dortige Zwangsarbeit eine erste Stolperschwelle. Dr. Bernhard Lehmann hatte damals in seinem Redebeitrag unter anderem auch an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erinnert, die von 1941-1945 bei der Bahnmeisterei Bobingen eingesetzt waren. Er bat darum, dort ebenfalls ein immerwährendes Gedenken zu setzen. Gunter Demnig, der mittlerweile in 26 Ländern mehr als 100.000 Stolpersteine verlegt und dadurch ein weltweites, einzigartiges Kunstwerk geschaffen hat, wurde deshalb erneut angefragt, ein weiteres Mahnmal in Bobingen zu setzen.

Die Verlegung erfolgte Anfang Oktober im Rahmen eines kleinen, von der Stadtkapelle Bobingen musikalisch umrahmten Festaktes. Erster Bürgermeister Klaus Förster dankte in seiner Begrüßungsrede den Verantwortlichen des Augsburger Bahnhofsmanagements, die sich von Anfang an dem Vorhaben gegenüber aufgeschlossen und äußerst kooperativ gezeigt haben. Förster richtete auch an die Anwesenden aus Politik, Kultur, Verwaltung und Gesellschaft dankende Worte: „Danke, dass Sie gemeinsam mit mir den Opfern des Nationalsozialismus ein gebührendes Gedenken setzen. Die Erinnerungsarbeit darf nie stillstehen. Beziehen wir gemeinsam Stellung gegen Rassismus, Ausbeutung, Antisemitismus und Entrechtung!“ Diese neue Stolperschwelle, so Förster weiter, konfrontiere Passanten und Zugreisende wortwörtlich auf Schritt und Tritt mit der Erinnerung an vergessene Schicksale. So sei es möglich, in Bobingen ein weiteres, dauerhaftes, aktives und vor allem sichtbares Zeichen für Demokratie und Menschenrechte zu setzen.

Dr. Bernhard Lehmann, Hauptinitiator der Schwellenverlegung am Bahnhof, referierte im Anschluss über seine Rechercheergebnisse zur Zwangsarbeit bei der Reichsbahn und gab anhand einer kleinen Fotopräsentation den Namen der Opfer auch Gesichter. „220 Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder waren in Bobingen bei der Reichsbahn im Arbeitseinsatz“, wusste Dr. Lehmann zu berichten. Ihre Aufgabe bestand darin, das Schotterbett vorzubereiten, Schwellen und Schienen instand zu halten bzw. zu verlegen, Waggons be - und abzuladen und Baracken aufzustellen. Arbeitsleistung wurde gegen Unterkunft und Verpflegung verrechnet. „Sie standen unter strengster Bewachung und hausten in einem umzäunten Lager, das sie nur zur Arbeit verlassen durften“, führte Dr. Lehmann weiter aus. Hier finden Sie weitere Informationen über die Schicksale von Zwangsarbeitern in Bobingen.

Stolperschwellenverlegung Bahnhof BobingenEva-Maria Gürpinar
Vertreter aus Politik, Kultur und Gesellschaft lauschten den Schilderungen von Dr. Bernd Lehmann, Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – für Demokratie“ in Augsburg, über die bewegenden Schicksale der Zwangsarbeiter in Bobingen.

Auch die neunten Klassen der Bobinger Realschule hatten sich im Vorfeld der Verlegung dem Thema Zwangsarbeit gewidmet. Gemeinsam mit Lehrerin Alexandra Müller trugen sie Einzelschicksale russischer und ukrainischer Familien vor, die aus ihrer Heimat deportiert wurden, um bei der Bahnmeisterei Bobingen Zwangsarbeit zu leisten. Die Jugendlichen stellten ihr freies und selbstbestimmtes Leben im Jahr 2024 dem Leben Gleichaltriger in den Jahren 1939-1945 gegenüber, deren Leben geprägt war von Verfolgung, Misshandlung, Angst und Tod. „Wir stolpern hier nicht nur über die Lebensgeschichten von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern am Bobinger Bahnhof, hier sollen und müssen wir auch über die Geschichten der jungen und unschuldigen Menschen stolpern, denen ein Leben in Sicherheit, Wohlstand und Freiheit nicht gegönnt war“, appellierten die jungen Redner zum Abschluss ihres Wortbeitrags.

Ein Bericht über die Verlegung der Stolperschwelle ist in der Mediathek des Senders a.tv verfügbar.